Abwechslungsreich war sie, diese schwarz-gelbe Spielzeit – darauf können sich wohl alle Beobachter einigen, egal ob sie ansonsten eher das letztendliche Erreichen aller offiziellen Ziele oder den großen Abstand zum Meister hervorheben. Einig sind sich alle sicher auch darin, dass wir eine solche Saison fast ohne Fans nicht wieder brauchen – um das sicherzustellen, sind wir alle gefragt. Bei den Leistungen der BVB-Spieler ist eine große Bandbreite festzustellen. Im Zeugnis werden nur die berücksichtigt, die über alle Wettbewerbe mindestens zehn Einsätze und 400 Spielminuten absolviert haben. Die Notenskala reicht von 1 bis 10 (Topwert).
Tor
Roman Bürki: Der Schweizer wirkte unsicherer als in den Spielzeiten zuvor. Das ist aber ein eher subjektiver Eindruck. Die Zahl grober Patzer blieb sehr überschaubar. Bürki war allerdings auch kein Stabilitätsfaktor und hielt vor allem die Bälle, die man halten muss. Die paar Auftritte, die er am Ende der Saison noch hatte, waren wiederum überzeugend. 5 P.
Marwin Hitz: Ende Januar ersetzte der drei Jahre ältere Schweizer Hitz seinen Landsmann Bürki im Tor. Einige Unterschiede waren festzustellen: Hitz versuchte tatsächlich, weitestgehend ohne Abschläge und nur mit Pässen und Abwürfen auszukommen. Das sah manchmal etwas riskant aus, blieb allerdings ohne größere negative Folgen. Dafür leistete sich der Schweizer in den ersten Wochen einige Missgeschicke. Danach stabilisierte er sich, ohne eine große Zahl von Glanztaten zu vollbringen. Ein Qualitätsunterschied zu Bürki? Schwer festzumachen. 5 P.
Abwehr
Mats Hummels: In der nicht immer sattelfesten Verteidigung war Mats über die Saison hinweg der stabilste Mann. Auch ihm entkam mal jemand bei Standardsituationen, auch er verlor Laufduelle und spielte den ein oder anderen Fehlpass. Doch meist war auf ihn Verlass. Auf seine Antizipation, sein Timing und seine spielerische Klasse, die sich auch in sechs Toren niederschlug. 8 P.
Manuel Akanji: Einer der Spieler, deren Leistung stark mit der des Teams korrelierte. In der ersten Saisonhälfte und gerade in komplizierten Spielen mit unnötigen Ballverlusten und gelegentlich nervös. Dafür war bei Manuel in den letzten Monaten ein deutlicher Aufwärtstrend erkennbar, mit vielen gewonnenen Zweikämpfen und gutem Positionsspiel. 6 P.
Raphael Guerreiro: Sechs Tore und elf Vorlagen – über diese Statistik von „Rapha“ kann man nicht meckern (Vorsaison: 8T/5V). Gemessen an seinem Top-Niveau, auf dem der offensiv orientierte Linksverteidiger Explosivität, Kreativität und sogar Torgefahr vereint, war Guerreiro aber nicht immer auf der Höhe. Wie andere hatte er die Phasen, wo zu wenig von ihm zu sehen war. So reicht es nur knapp zu 7 P.
Nico Schulz: Der einst für viel Geld aus Hoffenheim geholte Linksverteidiger war alles andere als ein Stammspieler (19 Einsätze in allen Wettbewerben, davon neun von Beginn). Sein Problem: Wurde er eingesetzt, gab er den Trainern keine zwingenden Gründe, ihn wieder zu berufen. Der Einsatz stimmte, doch wurde er zu oft abseits seiner Position erwischt und seine offensiven Aktivitäten blieben meist ohne Endprodukt (letzter Pass zum Gegner, letzte Flanke ins Leere). 4 P.
Mateu Morey: Mateus Saison endete mit seiner Kreuzbandverletzung tragisch. Zuvor ging es mit den Einsatzzeiten des jungen Spaniers auf und ab – mal spielte er mehrere Partien, dann saß er wieder viermal auf der Bank. Was ihn positiv von Thomas Meunier unterschied, war sein Enthusiasmus. Allerdings ist das, wenn man ehrlich ist, ein recht subjektiver Eindruck. Zwar tauchte Morey durchaus mal vorne auf, aber Dribblings mit Raumgewinn oder starke, öffnende Pässe waren selten, die Sicherheitsvarianten weitaus häufiger. Zudem war er in Zweikämpfen oft sogar passiver als Meunier. Potenzial und Geschwindigkeit sind aber da, nur noch nicht vollständig ausgeprägt. 5 P.
Thomas Meunier: Der 29-jährige Belgier war wohl der Spieler, der bei den Fans am schlechtesten wegkam. Vielleicht lag es ein wenig daran, dass er Nationalspieler ist und von PSG kam. Bis zu einem gewissen Maß war die Kritik auch berechtigt. An guten Tagen verrichtete Meunier solide Defensiv- und Offensivarbeit – mehr nicht. An weniger guten spielte er unnötige, zum Teil gefährliche Fehlpässe oder wurde auf Dortmunds rechter Abwehrseite von Gegenspielern überlaufen und ausgespielt. Vorne blieben Meuniers gute Ansätze dann vor dem letzten Pass stecken. Thomas hat nicht mehr viel Kredit, aber angesichts von Piszczeks Abschied und Moreys Verletzung womöglich noch eine weitere Chance. 4 P.
Felix Passlack: Der ehemalige BVB-Jugendspieler schafft das Quorum für dieses Spielerzeugnis etwas unerwartet. Doch er hat über alle Wettbewerbe tatsächlich 14 Einsätze und 639 Spielminuten angesammelt; in der Bundesliga sprang sogar ein Tor heraus. Großen Glanz verbreitete Passlack nicht, Mega-Fehler gehen auch nicht auf sein Konto. Seine Stärken liegen in seiner Explosivität und eher im Vorwärtsgang. Auch wenn ich gerne noch mehr Anschauungsmaterial für ein Urteil hätte: 6 P.
Lukasz Piszczek: Die letzten Wochen von „Piszczu“ beim BVB waren ein Triumphzug: Rückkehr in die Startelf, in der gesamten Saison elf Siege in elf Ligaspielen, der Pokalsieg, der Jubel danach. Unser Rechtsverteidiger wurde mit vielen Emotionen verabschiedet und das nun wirklich zu Recht. Für die Lobeshymnen zum Abschluss musste Lukasz‘ Leistung einfach nur besser sein als die der Konkurrenten hinten rechts. Dazu reichte ein grundsolides Auftreten in den letzten Wochen. Nicht verschweigen darf man bei allem berechtigten Lob, dass Piszczus Auftritte als Aushilfs-Innenverteidiger früher in der Saison weniger überzeugend waren. Und die Geschwindigkeit und Reaktionsschnelligkeit, um auf höchstem Niveau gegen Top-Gegner mithalten zu können, fehlt ihm inzwischen schon merklich. 6 P.
Mittelfeld
Emre Can: Eins kann man Emre Can nie absprechen: sein unbändiges Engagement. Das durfte er in dieser Saison etwas häufiger in der Innenverteidigung als im Mittelfeld ausleben, dazu kommen einige Einsätze als Rechtsverteidiger. Im besten Fall riss sein Willen die Mitspieler mit und Can konnte Impulse setzen. Sein Zweikampfverhalten ist in der Regel stark. Doch es kam nicht jeder Pass an, nicht jede klärende Aktion saß und gelegentlich haperte es auch beim Positionsspiel bei Standards. 6 P.
Thomas Delaney: Im BVB-Podcast der Ruhr Nachrichten wurde er kürzlich als der sympathischste Spieler im aktuellen Kader bezeichnet. Ohne so nah dran zu sein kann man das nachvollziehen. Es wäre traurig, den Dänen gehen zu sehen, aber tatsächlich haben ihm etwa Bellingham und Dahoud etwas den Rang abgelaufen. Thomas Delaney zeigte großen Einsatz und scheute sich nie, dorthin zu gehen, wo es weh tut. Sein Problem in schwarz-gelb: Er hat weniger Kreatives anzubieten als die genannten Mitspieler und kann das BVB-Spiel nicht auf deren Weise schnell machen. 6 P.
Axel Witsel: Mit seiner Verletzung nach Mateu Morey der zweitgrößte Pechvogel der Saison. Es steht außer Frage, dass ich ihm weiterhin gute und schnelle Besserung wünsche. Allerdings haben die Schwarz-Gelben Witsel spielerisch nicht vermisst. Er stand symptomatisch für das arg langsame, bedächtige Aufbauspiel im Mittelfeld, das immer wieder für Verdruss sorgte. Zu viele Quergeschiebe, zu wenig öffnende Pässe: Da darf man von einem belgischen Nationalspieler schon etwas mehr erwarten. Axel konnte ein gewisses Maß an Stabilität garantieren, eignet sich also prinzipiell gut für Ballbesitz-orientiertes Spiel. Aber alles in allem kamen von ihm weniger Impulse als von seinen „Nachfolgern“. 5 P.
Jude Bellingham: Da geht der BVB nach England und tätigt einen deutlich gewagteren Transfer als bei Jadon Sancho… und es funktioniert erneut gleich in der ersten Saison. Jude hat die Erwartungen deutlich übertroffen. Der Junge ist noch keine 18 und übernimmt schon Verantwortung auf dem Platz wie die gewieften Stammspieler. Er spielte mutig, technisch anspruchsvoll, ging (gelegentlich zu) beherzt in Zweikämpfe und steuerte immerhin vier Treffer und vier Vorlagen bei. 8 P.
Mahmoud Dahoud: An Mos Entwicklung ist abzulesen, wie sehr diese BVB-Spielzeit von Gegensätzen geprägt war. Gelegentlichen Einsätzen unter Lucien Favre mit vereinzelten guten Szenen folgte unter Edin Terzic eine lange Phase auf der Bank mit kurzzeitiger Suspendierung. Seit seiner Einwechslung Ende Januar gegen Augsburg hat Dahoud dann in jeder Partie gespielt. Zu Recht, denn er hat sich klar gesteigert. Anscheinend darf er den Ball auf Terzics Anweisung hin nur eine bestimmte Zeit lang halten. Früher verzettelte er sich zu oft und schloss mit einem Fehlpass oder -schuss ab. Zuletzt spielte er direkter, druckvoller, erzielte ein Traumtor (in Sevilla) und bereitete eins traumhaft vor (in Wolfsburg). 7 P.
Giovanni Reyna: Eine rein objektiv gesehen zu wechselhafte Saison des 18-jährigen Amerikaners. Doch man muss in Betracht ziehen, dass ihm als kaum Erwachsenem das durch Corona verschärfte lange Alleinsein fernab der Eltern zu schaffen gemacht hat. Es gab Spiele, da wirkte Reyna unmotiviert und glücklos. Grundsätzlich ist er weit bei Schnelligkeit und Technik, muss aber noch an Passspiel und Entscheidungsfindung arbeiten. Völlig normal in Giovannis Alter. 5 P.
Julian Brandt: Ein junger Mann, der sympathisch rüberkommt. Der mit seiner Technik sowohl auf engem Raum als auch mit Pässen über die Distanz Ausrufezeichen setzen kann. Warum nur konnte das Julian Brandt so selten umsetzen? Viel zu oft fiel der offensive Mittelfeldspieler gerade mit schlampigem Passspiel auf. Zweikämpfe waren ebenso ein schwieriges Thema. Bezeichnend, dass man die „Julian“-Rufe von Edin Terzic übers Fernsehen in den leeren Stadien besonders laut und oft hören konnte. Gegen Ende der Spielzeit gab es einen Mini-Aufwärtstrend, so dass ich Brandt nun tendenziell doch eine weitere Saison in schwarz-gelb sehen möchte. 4 P.
Marco Reus: Wir wissen alle, was der BVB-Kapitän konnte und angesichts der letzten Monate immer noch kann. Nur braucht Marco inzwischen scheinbar länger, um nach Verletzungen wieder in Fahrt zu kommen. Das zeigte sich in dieser Saison und daher macht auch seine EM-Absage, wie immer das auch genau abgelaufen ist, Sinn. In den schlechten Zeiten während der Spielzeit tauchte Reus ab oder spielte glücklos. Später war er wieder da und landete am Ende bei elf Toren und 14 Vorlagen. 6 P.
Angriff
Jadon Sancho: Ende 2020 kalkulierte man besorgt, wie viel der BVB für Sancho noch kassieren könnte. Mitte 2021 mag man sich die Borussia ohne ihn wiederum nicht vorstellen. Nicht dass er unersetzbar wäre, aber mit Jadon macht der schwarz-gelbe Fußball einfach mehr Spaß. Tricks, tolle Pässe und Torgefahr bekamen wir in der Rückserie doch noch zu sehen. Deutlich mehr jedenfalls als zuvor in der Liga. Unter Terzic fand Jadon wieder in allen Wettbewerben statt. 7 P.
Thorgan Hazard: Es war wahrlich nicht die Saison der Belgier beim BVB. Thorgan Hazard wurde von Verletzungen ausgebremst und fand wohl deshalb auch keinen Rhythmus, wenn er fit war. In 28 Einsätzen, davon 15 von Beginn an, kam er auf vier Tore und sechs Vorlagen. Das ist keine grottenschlechte Bilanz, aber beim eigentlich zielstrebigen und torgefährlichen Hazard war trotzdem ein spielerischer Rückschritt zu erkennen. 5 P.
Erling Haaland: Spieler der Saison – so einfach und doch so wahr. Ohne den norwegischen Superstürmer wäre der BVB trotz Aufwärtstrend bei anderen Spielern niemals dort gelandet, wo er am Ende war. Es waren ja nicht nur die unglaublichen 41 Tore in 41 Spielen. Zu einem guten Teil waren das Tore, die nicht viele andere Bundesligaspieler gemacht hätten. Tore, die Erling erzwang, selbst kreierte. Neben seinen hervorragenden Vollstrecker-Qualitäten muss man auch seine Übersicht hervorheben, die er zu zwölf Vorlagen nutzte. Fantastische Spielzeit und es dürfte nicht die letzte in schwarz-gelb gewesen sein! 10 P.
Youssoufa Moukoko: Der dritte Pechvogel, was Verletzungen angeht. Aber Youssoufa hat ja noch so viel Zeit. Mit seinem 16. Geburtstag in den Kader gerückt, konnte das „Wunderkind“ aus dem Nachwuchs immerhin drei Treffer bei 15 Einsätzen verbuchen. 13-mal kam Moukoko dabei von der Bank, gerne in Partien, die der BVB zu verlieren drohte. Der Nachwuchsstürmer blieb öfter mal hängen oder verlor schlicht Zweikämpfe gegen Abwehrspieler. Aber man sah eben auch seine Qualitäten, sowohl im Abschluss als auch beim Einsatzwillen. 6 P.
Den Trainern des BVB – dem vergangenen, dem noch aktuellen und dem zukünftigen – widme ich in den nächsten Tagen einen eigenen Artikel.
(Statistiken: Transfermarkt.de)