Champions League, 4. Spieltag / BVB 1 Ajax 3
Der Heim-Nimbus ist weg: Unter kontroversen Umständen verliert der BVB auch das zweite Gruppenspiel gegen Ajax, kann allerdings mit erhobenem Kopf aus der Partie gehen. Die Widrigkeiten, mit denen Schwarz-Gelb zu kämpfen hatte, entschuldigen das Ergebnis gegen das Ajax-Team von 2021/22 – sie könnten der Borussia allerdings noch arg zu schaffen machen.
Den überwiegenden Teil der ersten Halbzeit – teilweise noch nach dem Platzverweis – machten die Gastgeber vieles richtig, was in Amsterdam nicht gelungen war. Die sichtbarste Veränderung: Dortmund presste häufig hoch und ließ keinen rechten Spielfluss bei Ajax zu. Zu diesem Zweck machte auch der Einsatz von Steffen Tigges anstelle von beispielsweise Donyell Malen Sinn. Im Mittelfeld agierte neben Jude Bellingham auch Axel Witsel aggressiver als sonst und so konnte der BVB den Ball eine halbe Stunde lang meist vom eigenen Strafraum fernhalten.
Ich bin ein VAR-Skeptiker, aber kein dogmatischer – von einer regelmäßig gelungenen Anwendung ließe ich mich vermutlich überzeugen. Die Szene, die zum Platzverweis führte, hatte jedes Potenzial dazu. In Realgeschwindigkeit hätte Schiedsrichter Michael Oliver sie wohl nur aus nächster Nähe richtig beurteilen können. Im Fernsehen sah es in der ersten Einstellung nach einer rücksichtslosen Grätsche von hinten aus, die Mats Hummels im Mittelfeld ohne wirkliche Not gegen Antony auspackte. Letzterer ließ es sich nicht nehmen, dies noch mit seinen Schauspielkünsten zu unterstreichen.
Von Menschen und Technik
Doch wozu gibt es den VAR? Hummels schien seiner Gestik nach zu urteilen überzeugt davon, dass der Video-Assistent die Szene anders bewerten würde als Oliver. Doch der Referee auf dem Platz blieb nach kurzer Diskussion bei seiner Entscheidung, ohne sich die Wiederholung auf dem Monitor anzuschauen. Wozu haben wir die Möglichkeit dann, wenn nicht für diese Szene – einen Platzverweis in einem wichtigen Champions League-Spiel? Denn natürlich war auf den Fernsehbildern zu sehen, dass Hummels Antony nicht traf, sondern dieser dem Dortmunder Innenverteidiger aufs Bein trat. Man MUSS sich diese Szene als Schiedsrichter-Team aus verschiedenen Perspektiven anschauen. Und hätte dann durchaus wegen überzogenem Einsteigen Hummels Gelb geben können, aber niemals Rot.
Ajax hatte noch vor der Pause mehrere Chancen, aber das Tor machte der BVB. Es gab Strafstoß nach Foul an Bellingham und VAR-Eingriff. Es war ein softer Elfmeter, der etwas nach Konzessionsentscheidung roch: Jude wurde unabsichtlich an der Ferse getroffen, fiel aber mit Verzögerung. Kann man geben, muss man nicht. Die Borussia hatte trotz Unterzahl dem steigenden Druck standgehalten, auch dank Gregor Kobel, und lag zur Halbzeit sogar vorn.
Doch in den zweiten 45 Minuten wurden die Schwarz-Gelben dann doch hinten eingeschnürt und konnten sich nur noch selten befreien. Meine Hoffnung auf drei Punkte schwand beträchtlich, als sich auch noch Marius Wolf verletzte und er durch Felix Passlack ersetzt wurde. Wolf ist kein glänzender Linksverteidiger, aber er zeigt unbestreitbar Präsenz auf dem Platz. Passlack dagegen agierte fast körperlos auf einer Halbposition zwischen innen und außen, wo er weder Flanken noch Torabschlüsse verhindern konnte. Vielleicht verbot sich der Wechsel aufgrund der Verletzungsgeschichte, aber ich hätte mich mit Dan-Axel Zagadou links hinten sicherer gefühlt.
War die Niederlage unausweichlich?
Alle drei Ajax-Tore wurden durch Antony vorbereitet. Das erste davon erinnerte an den ersten Gegentreffer in Amsterdam. Damals war es ein Freistoß, diesmal eine Flanke von rechts, die von einem BVB-Spieler (gestern Pongracic) unglücklich verlängert wurde. Es wurde kein Eigentor daraus, aber am langen Pfosten musste Tadic nur noch sein Bein hinhalten. Die Borussia kriegte diese rechte Seite nicht mehr zu, aber natürlich schwanden auch andernorts die Kräfte. Bezeichnend war, wie hilflos die Schwarz-Gelben nach der Ajax-Führung dem Passspiel der Gäste zusahen.
Hätte der BVB gestern zumindest einen Punkt retten können? Es bleibt Spekulation. Die positionsgetreue Einwechslung von Felix Passlack kann man angesichts der Unterzahl wohl nicht kritisieren. Aber künftig sollte Marco Rose wissen, dass es gegen solche Teams einfach keinen Sinn macht. Und der Doppelwechsel in der 76. Minute beim Stand von 1:1? Malen und Knauff kamen für Tigges und Reus. DAZN-Experte Sandro Wagner lobte Marco Rose nach dem Spiel dafür, dass er Geschwindigkeit eingewechselt habe. Diese kam tatsächlich ein paar Mal zum Tragen, ohne dass ein nennenswerter Torabschluss daraus folgte. Die andere Sichtweise ist, dass mit dem Wechsel noch mehr defensive Solidität verloren ging. Vielleicht war er ein zu hohes Risiko – mit einem Unentschieden stünde der BVB noch einen Punkt vor Sporting. Die Ausgangsposition wäre allerdings ähnlich: Den Schwarz-Gelben reicht ein Unentschieden in Lissabon, wo sie voraussichtlich auf Mats Hummels verzichten müssen, wenn sie das Heimspiel gegen Besiktas gewinnen.
Für die personell gebeutelte Borussia wird es höchste Zeit, dass die Länderspielpause kommt. Zuvor steht allerdings noch das Auswärtsspiel in Leipzig an. RB hat nach einem 2:2 gegen PSG keine Chancen mehr auf das Erreichen des CL-Achtelfinales.
Die Aufstellung: Kobel – Meunier, Akanji, Hummels, Wolf (58. Passlack) – Brandt, Witsel, Bellingham – Hazard (34. Pongracic), Tigges (76. Malen), Reus (76. Knauff). Gelbe Karte: Knauff. Rote Karte: Hummels. Tor: Reus (EM)