Dortmund stellt die Qualitätsfrage

1.Bundesliga, 21. Spieltag / BVB 2 Bayer 04 Leverkusen 5

Viele Tore hat es mal wieder gegeben – alles andere hätten sich die Schwarz-Gelben beim Aufeinandertreffen mit Leverkusen anders vorgestellt. Nach der Partie gaben die beiden Marcos – Reus und Rose – unumwunden zu, dass die Borussen genau das nicht umsetzen konnten, was sie sich für diese Partie vorgenommen und was sie für wichtig erachtet hatten: früh in die Zweikämpfe zu kommen, leichtsinnige Ballverluste zu vermeiden, schnelle Gegenzüge zu antizipieren und zu verhindern.

Nach dem schweren Fehler von Dan-Axel Zagadou, der vor dem 0:1 einen waghalsigen Querpass spielte, wird dem 22-jährigen Innenverteidiger nun in den sozialen Medien von einigen die Qualität abgesprochen. Es war tatsächlich nicht Daxos erster Fehler seit seiner Rückkehr, aber man muss zumindest seine lange Verletzungsgeschichte mit erwähnen, wenn man ihn nun kritisiert. Selbstverständlich ist es legitim, die Qualitätsfrage zu stellen – der BVB stellt sie durch seine Auftritte selber immer wieder. Aber genauso wenig, wie sich die enormen Schwankungen des Teams erklären lassen, kann man die Qualitätsfrage an ein oder zwei Spielern festmachen – und schon gar nicht an Zagadou, der abgesehen von seinem Aussetzer kein Hauptproblem dieses Auftritts war.

Viel Aufwand ohne Haaland

Eine Ausnahme gibt es: Ohne Erling Haaland ist die BVB-Offensive gegen starke Teams nur die Hälfte wert. Es wurde hier und anderswo schon häufig genug diskutiert, wie der Norweger an seinen zahlreichen guten Tagen allein durch seine Präsenz schon einen Unterschied macht. Den Schwarz-Gelben fehlen ohne ihn die Räume, die Durchschlagskraft und häufig – auch gestern über weite Strecken – die Ideen. Am Ende der Partie war der Expected Goals-Wert ausgeglichen (1,86 zu 1,86). Dass der BVB auf diesen Wert kam, lag daran, dass in der zweiten Hälfte wenigstens der Aufwand und die Griffigkeit halbwegs stimmten, sich das Zweikampfverhalten verbesserte. Dass Leverkusen (nur) auf diesen Wert kam, lag daran, dass sie aus unspektakulären Situationen viel machten: saubere bis richtig starke Konter und das Nutzen von Fehlern führten zum Übertreffen der Erwartungen. Am erwartbarsten war da noch das Freistoßtor von Andrich aus gerade mal 17 Metern.

Man muss die Partie nicht viel eingehender analysieren, um den lang gehegten Verdacht zu bestätigen: Gegen nationale wie internationale Top-Gegner reicht die Qualität der Schwarz-Gelben nicht, wenn ein oder zwei Schlüsselspieler fehlen. Mats Hummels hat in dieser Spielzeit bei weitem nicht immer überzeugt, aber auch er hätte gestern etwas beizutragen gehabt – und sei es nur etwas mehr Organisationsfähigkeit und Ansprache an seine Teamkollegen.

Das Problem der Borussia ist nicht, dass Erling Haaland und Mats Hummels so gut bzw. wichtig sind, dass sich ihr Fehlen so extrem bemerkbar macht. Das Problem ist, dass die Defensive auf allen Positionen, Akanji mal ausgenommen, nicht die Qualität hat, um gegen Topteams zu bestehen. Zumindest, was ihre defensiven Qualitäten betrifft. Im Mittelfeld gibt es ebenfalls niemand, der über so große Defensivqualitäten verfügt, dass er schnelle Angriffe des Gegners vorherahnen oder aufhalten kann. Jude Bellingham ist für sein Alter schon weit und wird noch weiter kommen, aber von ihm darf man den Regisseur in der Zentrale noch nicht erwarten. Im Angriff stehen alle im Schatten von Erling Haaland. Ihm kommt einfach niemand nahe. Wenn er mal fehlt, müssten alle anderen bei nahezu 100 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit spielen – das war gestern nicht der Fall und ist auch nicht regelmäßig zu erwarten.

Kommt nach der Saison der Neuaufbau?

Im Sommer wird sich den Verantwortlichen eine diffizile Aufgabe stellen: Mit selbst bei einem Haaland-Abgang beschränkten finanziellen Möglichkeiten müssen sie die Mannschaft so umbauen, dass sie endlich mehr Konstanz zeigt. Ein Totalumbau ist nicht möglich und nicht nötig. Aber will man über das Niveau dieser Spielzeit hinauskommen, sind einige Änderungen fällig. Vielleicht muss man Rose einfach Rose-Spieler geben. Wahrscheinlich ist die Sache aber komplexer. Vielleicht muss das Team homogener werden, was den Charakter und die bevorzugte Spielweise der Akteure angeht. Letztere muss natürlich auch zu Marco Rose passen. Vielleicht ist es auch nicht nur ein Nachteil, wenn ein Ausnahmekönner wie Erling Haaland nicht mehr dabei ist. Denn dann kann man auch keinen Ausnahmekönner schrecklich vermissen und seine Rolle muss auf mehrere Schultern verteilt werden.

Ob das alles klappt, ist vollkommen unklar und ich stochere hier auch nur im Nebel. Es gibt beim BVB hoffentlich Insider und Experten, die eine bessere Idee davon haben, was getan werden muss. Oder man lässt sich entsprechend beraten. Ja, diese Mannschaft ist immer noch Zweiter der Bundesliga, hat aber in den anderen Wettbewerben Rückschritte gemacht. Vielleicht ist auch in Zukunft nicht mehr drin, gerade, wenn Haaland geht. Am meisten nerven inzwischen aber die unerklärlichen Schwankungen, die zu extrem für einen „schlechten Tag“ sind. Wir haben jetzt jahrelang gerätselt. Irgendwann muss man sich als Fan und als Verein wohl eingestehen, dass es nicht immer an Verletzungen, der Einstellung oder dem Trainer liegen kann. Die Qualität reicht ziemlich sicher für Platz 4 in der Liga; alles andere muss man mit diesem Kader in Frage stellen, wenn die Konkurrenz nicht ebenfalls schwächelt.

Die Aufstellung: Kobel – Meunier (46. Wolf), Akanji, Zagadou, Guerreiro – Bellingham, Dahoud, Brandt – Reus (85. Tigges), Malen (79. Moukoko), Hazard (61. Reyna). Gelbe Karte: Dahoud. Tore: Frimpong (ET), Tigges

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