BVB holt sich auf den Boden der Tatsachen zurück

1.Bundesliga, 24. Spieltag / FC Schalke 2 BVB 2

Das Ende einer äußerst bescheidenen schwarz-gelben Woche: Borussia Dortmund ist Derbynichtsieger und Gelsenkirchen feiert wieder. Jeder BVB-Fan, der das Derby versteht, hätte sich mit einem Sieg in der Turnhalle über das CL-Aus hinweggetröstet. Doch das 2:2 nach zweimaliger Führung gegen den Tabellen-17. ist natürlich eine gefühlte Niederlage und könnte die Borussia jenseits aller Emotionen in der Endabrechnung noch teuer zu stehen kommen.

Die von Edin Terzic vorgenommenen personellen Änderungen, vor allem der Einsatz von Mats Hummels und das Vorziehen von Raphael Guerreiro, machten durchaus Sinn. Der eine war defensiv, der andere offensiv entscheidend daran beteiligt, dass der BVB wie ein verdienter Sieger ausgesehen hätte. Ohne dass einer von beiden ohne Fehl und Tadel gewesen wäre. Der riskante Pass von Schlotterbeck auf Hummels, in dessen Folge Mats den Ball schon fast verdaddeln musste und Zalazar zur einzigen, aber dafür großen Schalker Chance der ersten Hälfte kam, war ein Vorgeschmack, was bei Schwarz-Gelb noch an defensiven Schnitzern folgen sollte.

Dortmund dominiert, aber macht zu wenig draus

Ansonsten verliefen die ersten 45 Minuten ähnlich dem Hinspiel: Der BVB übte fast schon totale Dominanz aus, war eben nicht nur spielerisch überlegen, sondern auch engagiert beim Anlaufen und im Zweikampf. Im Angriff fehlte aber das gewisse Etwas. Ohne Julian Brandt, ohne die Schnelligkeit eines Karim Adeyemi, die Genialität eines fitten Jude Bellingham, die Abgeklärtheit eines Marco Reus und die Torgefahr eines formstarken Stürmers produzierten die Schwarz-Gelben zwar dennoch eine Reihe von Torabschlüssen – zehn, davon fünf aufs Tor (zehn weitere folgten in HZ 2) – aber das ganz Zwingende fehlte doch. Bis zur Pause kam die Borussia laut Understat auf einen Expected Goals-Wert von 0,60, Schalke auf 0,34 bei nur drei Schüssen.

Die Tore, die Dortmund erzielte, waren umso schöner – was meistens mit einem niedrigen xG-Wert für den Abschluss korreliert. Nico Schlotterbecks Schuss hätte es verdient gehabt, den Innenverteidiger zum Derby-Helden zu machen. Leider war letztendlich auch Nico nicht ganz unschuldig am Unentschieden. Interessant für xG-Fans sind nach dem Derby auch die deutlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Providern/Datenquellen: Understat sieht S04 mit 1,52:1,22 sogar vorne, andere Anbieter haben andere Werte errechnet – die Fotmob App 1,51:2,02 zugunsten des BVB. Unterschiede gibt es unter anderem bei der Bewertung des ersten Tors der Blauen: Understat zufolge liegt dessen xG-Wert bei extrem hohen 0,94, Fotmob meldet 0,80. Trägt nicht unbedingt zum Vertrauen in die Expected Goals-Stats bei, die ich grundsätzlich und bei richtiger Interpretation für durchaus nützlich halte.

Die Fehler, die zwei Punkte kosteten

Nicht zum ersten Mal kam die Borussia weniger gut aus der Pause zurück als sie hineingegangen war. Die Dominanz wich einer leichten Überlegenheit inklusive eingestreuter Fehler. Bellinghams Ballverlust war ursächlich für den schnellen Schalker Konter vor dem 1:1. Trotzdem war Schwarz-Gelb zentral hier in Überzahl. Beim 2:2 konnten Jude und Marius Wolf Bülters Flanke von links nicht verhindern; in der Mitte waren Schlotterbeck und Ryerson zu passiv, auch Torwart Meyer sah beim Kopfball von Karaman nicht völlig chancenlos aus, hätte mit einem beherzteren Sprung vielleicht noch etwas retten können. Um Missverständnisse zu vermeiden: Dortmund sah mit einem überspielten Bellingham immer noch besser aus als ohne ihn.

Zehn Minuten nach dem 1:1 hatte Raphael Guerreiro die Schwarz-Gelben mit einem tollen Schuss von links ins rechte Eck wieder in Front gebracht. Danach hatten die Gäste den nötigen Aufwind und hätten die Partie erneut entscheiden können (etwa Bynoe-Gittens). Sie wirkten aber nicht nur gelegentlich in der Defensive, sondern sogar öfter im Spiel nach vorne leicht schlampig, spielten unpräzise Pässe. Die Zahl der Torchancen hätte durchaus noch höher ausfallen können.

Die Bank lässt zu wünschen übrig

Ein weiterer Grund, warum es nicht zum Derbysieg reichte: Schalkes Trainer Thomas Reis wechselte den Punktgewinner Kenan Karaman ein; beim BVB kamen nach dem 2:2 Modeste und Reyna für Haller und Malen. Beide Einwechselspieler blieben in den letzten zehn Minuten plus Nachspielzeit bei xG- und xAssists-Werten von 0,00. Auf der Bank saßen außer Torhüter Lotka noch Süle, Özcan, Meunier, Passlack und Nijnmah. Rein von den Positionen her gedacht machte der Doppelwechsel also Sinn. Denkt man an Formkurven, hätten vielleicht ein Ur-Borusse wie Felix Passlack oder ein Kanten wie Niklas Süle dem BVB noch mehr gegeben. Aber das ist zugegebenermaßen rein spekulativ.

Vier Derby-Punkte für den BVB in 2022/23: Die Schwarz-Gelben haben das Duell gegen S04 gewonnen, aber das hatte auch jede/r erwartet. Die ganze Wahrheit ist natürlich, dass der gestrige Punktverlust der Borussia ziemlich weh tut. Emotional sowieso, aber womöglich auch sportlich. Man liegt jetzt wieder zwei Punkte hinter den Bayern und wird die Meisterschaft nach der üblichen Niederlage in München wahrscheinlich abschreiben können. Das wäre fast noch erträglicher, als wenn nach 34 Spieltagen genau zwei Punkte zum Titel fehlen.

Natürlich gibt es viele andere Begegnungen, in denen der BVB Punkte hat liegen lassen. Aber kein Punktverlust wäre am Ende so schmerzhaft wie der gegen den weit unterlegenen Tabellenvorletzten und Lokalrivalen. Und es droht ein emotionales Worst-Case-Szenario, wenn die Schwarz-Gelben am 5. April in Leipzig aus dem Pokal fliegen sollten. Ja, ich male jetzt mal den Teufel an die Wand – rational betrachtet hat das Team absolut die Chance, diesen Ausgang zu verhindern.

Die Aufstellung: Meyer – Wolf, Hummels, Schlotterbeck, Ryerson – Bellingham, Can, Guerreiro – Malen (80. Reyna), Haller (80. Modeste), Bynoe-Gittens (68. Dahoud). Gelbe Karte: Can. Tore: Schlotterbeck, Guerreiro

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