Etwas ist anders in der englischen Premier League. Nach 13 Spieltagen stehen zwar die Mannschaften auf den ersten vier Plätzen, die man dort erwartet hatte – Chelsea, Arsenal, Man United und City. Die englischen Journalisten und Fans sprechen jedoch von der unvorhersehbarsten Saison seit langem. Vielleicht nicht, was das Endergebnis anbetrifft – aber die Zahl der überraschenden Resultate ist erfreulich hoch. Seit Saisonbeginn haben sich außerdem mehrere Mannschaften ins Bewusstsein der auf die ‚Top 4‘ fixierten Öffentlichkeit gespielt, von denen man es nicht erwartet hätte. Mit überraschend flüssigem und schönem Fußball konnte zunächst Aufsteiger West Bromwich Albion überzeugen. Inzwischen sind es vor allem die von Owen Coyle trainierten Bolton Wanderers (Vorsaison: Platz 14) und spätestens seit Sonntag der AFC Sunderland (Vorsaison: Platz 13), die viele Erwartungen übertreffen.
Der Sonntag war Balsam für die Mehrheit der englischen Fußballfans, die die Dominanz der ‚großen Vier‘ (und die Fokussierung der Medien auf sie) leid sind. Ein ersatzgeschwächtes Chelsea verlor an der Stamford Bridge völlig verdient mit 0:3 gegen Sunderland. Den Blues fehlten John Terry, Michael Essien und Frank Lampard. Trotzdem hätte Trainer Ancelotti von den Spielern, die auf dem Platz standen, mehr erwarten können als die höchste Heimniederlage der Abramowitsch-Ära, die höchste seit 8 1/2 Jahren. Aber weg von Chelsea – Ehre, wem sie gebührt: Der Trainer der ‚Black Cats‘, der in England zu Recht angesehene Steve Bruce, hatte in London mutig auf zwei Spitzen gesetzt – den ghanaischen Nationalspieler Asamoah Gyan und den von Man United ausgeliehenen 19-jährigen Danny Welbeck. Beide trafen am Sonntag.
Lag es nur an der mutigen Taktik von Bruce? Die BBC-Sportredaktion geht mit einer ausführlichen Analyse des Spiels in die Tiefe. Neben der positiven Herangehensweise der Black Cats führt Autor Chris Whyatt das Verletzungspech Chelseas in Verbindung mit den verringerten Ausgaben an. Nach der Wirtschaftskrise hat Roman Abramowitsch die Gelder für Neuverpflichtungen zusammengestrichen, so dass Ancelotti Ausfälle wie gestern nicht 1:1 aus dem Kader kompensieren kann. Natürlich war aber auch die Tagesform entscheidend: Individuelle Fehler wie der des in England herzlich unbeliebten Außenverteidigers Ashley Cole trafen auf individuelle Glanzleistungen wie die von Asamoah Gyan, vom niederländischen Mittelfeldstrategen Boudewijn Zenden oder von Außenverteidiger Nedum Onuoha, der beim 1:0 gleich eine Reihe von Chelsea-Stars ausdribbelte.
Kritiker der Premier League (ich selber würde mich als ‚kritischen Freund‘ bezeichnen) sollten in dieser Saison genauer hinschauen. Auch wenn am Ende alles seinen gewohnten Gang gehen sollte, birgt diese Spielzeit womöglich mehr Spannung und Unterhaltung, als manche denken. In jedem Fall ist der englische Vereinsfußball dieses Jahr bedeutend spannender als das, was man in Spanien und Schottland zu sehen bekommt – in den seit Jahren langweiligsten Ligen Europas (von denen mit einem gewissen Bekanntheitsgrad).