Fanverein, aber richtig!

Für uns in Deutschland stellt sich diese Frage erst seit ein paar Jahrzehnten: Wie schaffen wir es, dass wir als Fußballfans in unseren Vereinen demokratisch mitbestimmen können? Auf dem Papier war und ist die Lösung ganz einfach: Wir brauchen einen e.V., einen eingetragenen Verein, mit Vorstandswahlen durch die Mitglieder. Also das Modell, das bei Fußballclubs in der Bundesrepublik lange Zeit das einzig übliche war. Und selbst bei einer ausgegliederten KgaA wie Borussia Dortmunds Fußballern gibt es immerhin noch die Mitbestimmung über die Gremien des Ursprungsvereins und den Aufsichtsrat.

Doch wir haben hierzulande zunehmend abschreckende Beispiele: Zuvorderst RB Leipzig, aber auch die Abhängigkeit von einzelnen Geldgebern bei echten Vereinen auf verschiedenen Ebenen der Liga-Pyramide sowie die um sich greifende Ausgliederung von Fußball-Abteilungen, die nicht automatisch zum kompletten, aber meist zum teilweisen Verlust von Demokratie führt. Auch in Deutschland sind daher schon sogenannte Phönix-Clubs wie der HFC Falke in Hamburg entstanden, die basisnah in den untersten Ligen mit dem Spielbetrieb beginnen.

In England sind die Besitzverhältnisse im Fußball bekanntlich traditionell weniger Fan-nah. Clubs bis tief hinein ins Amateur-Lager haben mehrheitlich Eigentümer, die letztendlich auch die Entscheidungsgewalt haben. Mit unserem e.V. vergleichbare fangeführte Vereine entstehen überwiegend aufgrund finanzieller Schwierigkeiten oder gar Pleiten. Oder weil ein Besitzer den Club mal eben von London nach Milton Keynes umziehen lässt, wie im Fall des FC Wimbledon, der offiziell heute MK Dons heißt, aber eigentlich im von Fans neu gegründeten AFC Wimbledon weiterlebt. Meist übernehmen Fan-Organisationen jedoch Vereine im Non-League-Bereich, also unterhalb der Profi-Ligen, oder sie müssen ihre große Liebe sogar mit Hilfe eines Phönix-Clubs wiederbeleben.

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In der letzten Minute der Nachspielzeit

1.Bundesliga, 9. Spieltag / BVB 2 Bayern München 2

Es war einer der Momente, die einen für den Augenblick mit dem Profifußball und der mäßig spannenden 1. Bundesliga versöhnen: Mit der letzten Aktion der Partie köpft – ausgerechnet – Anthony Modeste den Ausgleich für den BVB. Es war nicht ganz so spektakulär wie Malaga mit gleich zwei späten Toren, es war weniger spektakulär als Bremen aus Bremer Sicht. Doch im Kontext der ganzen Duelle der letzten Jahre gegen den FCB, die alle verloren wurden oder eher bedeutungslos waren, war das am Samstag groß. Ganz späte Glücksgefühle und zur Abwechslung auch mal Glück mit dem Schiedsrichter – was will man mehr?

Spielen gegen den FC Bayern muss man keinen geklauten Begriff wie „Classico“ geben; für die Borussia sind sie ohnehin der ultimative Härtetest und sportlich die wichtigsten Partien der Saison – zumindest, um zu sehen, wo man steht. Nun liegen die Schwarz-Gelben nach der stellenweise hitzigen Begegnung punktgleich nur knapp hinter dem Rekordmeister – das ist zu diesem Zeitpunkt ein ordentliches Zwischenergebnis.

Bayerische Sichtweisen bei Sky

Als Sky-Zuschauer war es interessant zu beobachten bzw. mitzuhören, wie sich nach der Partie zwei Narrative verselbständigten, die Akteure oder Ehemalige des FCB lanciert hatten. Zum einen war da die von Lothar Matthäus stammende Darstellung, die Bayern hätten die ersten 70 Minuten dominiert und der BVB wäre erst danach, also kurz vor dem Anschlusstreffer, in die Partie gekommen. Eine bestenfalls sehr oberflächliche, aber eigentlich unzutreffende Einschätzung. Die Gäste hatten zwar schon in der ersten Halbzeit mehr Ballbesitz und wirkten insgesamt passsicherer. Doch kamen sie bis zur Pause inklusive Goretzkas Tor nur auf einen Expected Goals-Wert von 0,05, die Borussia immerhin auf 0,26. Dass die Bayern dementsprechend vor dem Tor sehr effektiv waren, ist eine andere Sache.

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Reality Check: Alter BVB an der Alten Försterei

1. Bundesliga, 13. Spieltag / Union Berlin 2  BVB 1

Ein Schritt vor, einer zurück: Borussia Dortmund lässt ihn Köpenick wieder vieles vermissen, was in Bremen noch zu sehen war. Die Realität ist: Der 1. FC Union ist derzeit einer der Hauptkonkurrenten des BVB.

Neue Ideen, altes Personal

Es war nicht von Beginn an der Favre-BVB, den wir in Berlin zu sehen bekamen. Anfangs war das Bemühen zu erkennen, wieder schneller und direkter nach vorne zu spielen als unter dem Ex-Trainer. Allein, es funktionierte nicht besonders gut. Die Bälle kamen zu selten an, die Gastgeber waren aufmerksam – es war von beidem etwas dabei. Und so verfielen die Schwarz-Gelben wieder in alte Muster, wirkten gerade im Mittelfeld unfähig, Lücken in der kompakten Union-Defensive zu erkennen, so dass fast jeder Angriff früh stockte und der nächste Quer- oder Rückpass kam.

Ein altes Muster ist auch der Leistungsstand einiger verantwortlicher Akteure: Axel Witsel kriegt absolut keinen Zug in seine Aktionen, da nützt auch ein Alibi-Abschluss nichts. Marco Reus war, so ungern ich das schreibe, bis zu seiner Auswechslung weitgehend unsichtbar. Und Jadon Sancho? Der war absolut involviert, ist aber eben völlig glücklos derzeit. Ihm ist jedoch ein schnelles Wiederaufblühen nach einem Erfolgserlebnis am ehesten zuzutrauen.

Hat Edin Terzic also falsch aufgestellt? Hat er überzeugende Alternativen? Die Aufstellung in Berlin kann man schon nachvollziehen. Aber für Braunschweig und die Zukunft sollte der wieder genesene Thomas Delaney Thema für die Zentrale sein, zunächst neben Can oder Dahoud. Ob Julian Brandt derzeit die bessere Option als Marco Reus ist, sei mal dahingestellt. Und im Pokal sollte Terzic Zagadou mal 90 Minuten geben.

Peinliche Wiederholung

Ohne Standards hätte die Borussia die Partie nicht verloren. Wie gegen Köln waren es erneut zwei Ecken, die zu den Gegentoren führten. Einmal ganz ähnlich wie damals nach einer Kopfballverlängerung, einmal nachdem Marvin Friedrich beim Lauf in den Strafraum völlig allein gelassen wurde und vor dem heranstürmenden Hummels einköpfen konnte. Schwer zu entschuldigen, das so etwas nicht verhindert wird – egal ob das an der fehlenden Übung oder, wahrscheinlicher, an der fehlenden Umsetzung des Geübten liegt.

Wie gegen Stuttgart gelang der Borussia ein bemerkenswertes Tor, das nachher niemand mehr so recht interessierte: Youssoufa Moukoko wurde mit seinem ersten Liga-Treffer zum Rekordhalter als jüngster Torschütze. Es war ein schönes Tor, wenn auch nicht ganz so toll wie Reynas Treffer beim 1:5. Moukoko hat jedenfalls Werbung für weitere Startelf-Einsätze gemacht. Dass die Rückkehr von Erling Haaland dem BVB enorm helfen würde, steht trotzdem außer Frage.

Was nun, BVB? Vor Weihnachten wird sich nicht mehr klären, ob Edin Terzic diesem Kader weiterhelfen kann. Das Braunschweig-Spiel, das hier und da schwerer geredet wird als es sein dürfte, kann kein Gradmesser sein. Alle müssen jetzt Geduld aufbringen. Terzic hat die Chance, während des mächtig schweren Programms Anfang 2021 zu zeigen, was er der Mannschaft beibringen kann. Allzuviel Zuversicht fällt momentan allerdings noch schwer.

Die Aufstellung: Bürki – Meunier (80. Morey), Akanji (85. Schulz), Hummels, Guerreiro – Witsel, Can (80. Bellingham) – Sancho, Reus (72. Brandt), Reyna – Moukoko. Gelbe Karte: Witsel. Tor: Moukoko

Lucien Favre schon weg

Früher als von mir erwartet hat Borussia Dortmund Trainer Lucien Favre und dessen Assistenten Manfred Stefes entlassen. In einem normalen Jahr hätte man dem ja nicht gerade erfolglosen Favre wohl noch Zeit bis zur Winterpause gegeben. Da eine solche aber 2020 (noch) nicht geplant ist, haben die Verantwortlichen nach dem 1:5 gegen den VfB wohl keine Notwendigkeit gesehen, noch zu warten.

Es ist bekannt, dass Lucien Favre bis zuletzt der BVB-Trainer mit dem besten Punkteschnitt war. Gescheitert ist er auch nicht an einer anhaltenden Pleitenserie, wie sie sogar Jürgen Klopp erlebt hat. Es war vielleicht nicht mal die Zahl der Niederlagen ausschlaggebend, sondern deren Art und Weise sowie die Gegner, die den BVB besiegen konnten. Außerdem gaben auch die erfolgreich gestalteten Partien nicht oft genug Anlass zur Hoffnung, dass da gerade etwas Großes am entstehen ist.

Entscheidend für die Trennung war unabhängig vom Zeitpunkt vermutlich die Auffassung der Vereinsverantwortlichen, dass Favre vielleicht einzelne Spieler besser gemacht, aber die Mannschaft nicht genügend weiterentwickelt hat. Zuletzt war kaum noch ein Konzept zu erkennen, wie man schwierige Spiele gewinnt. Obwohl die schwarz-gelben Jungs das mit individueller Qualität und Einzelaktionen gelegentlich trotzdem schafften.

Die Nachfolgeregelung hätte so auch nicht jede/r erwartet: Bis Saisonende übernimmt Co-Trainer Edin Terzic, unter anderem assistiert von Otto Addo. Sinn macht das insofern, als dass echte Wunschkandidaten für die Trainerbank im Winter selten zu bekommen und teurer als eine interne Lösung sind. Nächsten Sommer dürfte zumindest Ersteres anders aussehen. So deuten etwa einige Äußerungen der letzten Wochen darauf hin, dass Gladbachs Marco Rose von Max Eberl & Co nicht mit allen Mitteln gehalten werden soll.

Bleibt die Frage, was Edin Terzic bis dahin mit der Mannschaft erreichen kann. Vom Typ her soll er emotionaler als Favre sein. Das ist aber sicher nicht die einzige Voraussetzung, um mit dem BVB Erfolg zu haben. Es ist ein wohl notwendiges Wagnis, das Watzke, Zorc und die anderen Verantwortlichen mit Terzic eingehen. Ob es besser endet als mit Lucien Favre möglich gewesen wäre, ist kaum seriös vorherzusagen.

Da dreht sich was beim BVB

Schon vor Ende dieser besonderen Saison kam bei Borussia Dortmund das Personalkarussell in Schwung. Eine Fülle von entsprechenden Nachrichten purzelte seit letzter Woche aus dem Newsticker. Zeit für einen Überblick samt Einordnung…

Auf der Führungsebene gab es gleich zwei folgerichtige Entscheidungen, von denen höchstens eine ein wenig überrascht. Sportdirektor Michael Zorc und Trainer Lucien Favre machen beim BVB weiter. Ersterer über seinen bisher kommunizierten Abschiedstermin im Juni 2021 hinaus für ein weiteres Jahr. Letzterer Stand jetzt bis zu seinem Vertragsende im Juni 2021. „Susi“ Zorc wollte den Verein nicht während der Corona-Krise oder ihrer Nachwehen verlassen. Mit Sicherheit wird der Transfermarkt auch nächstes Jahr kein leichter sein. Es ist also eine logische Entscheidung, dass kein derzeit Verantwortlicher, der ordentliche Arbeit gemacht hat, jetzt von Bord geht.

Die Reaktionen auf Favres Bleiben sind gespaltener. Zu sehr haben einige schwer entschuldbare schwache Auftritte der Mannschaft das gute Gesamtbild getrübt. Viele erwarten vermutlich von Lucien Favre keinen Turnaround mehr in Sachen Motivation und Einstellung des Teams. Dennoch ist sein Bleiben ähnlich logisch wie das von Zorc. Wo sind denn die Alternativen, um den ausgewiesenen Fußballfachmann zu ersetzen? Außerdem muss der BVB den jüngsten Zahlen nach auch über die finanzielle Seite eines Rauswurfs und einer folgenden Neuverpflichtung nachdenken. Es wird ja ausdrücklich nicht über eine Verlängerung mit Favre gesprochen, bis der Verlauf der Saison 2020/21 absehbar ist. Den gewagten Anspruch, den Meistertitel zu holen, will Hans-Joachim Watzke für die kommende Spielzeit nicht wiederholen – eine Rückkehr zur Zurückhaltung, wie sie all die Jahre zuvor gute Tradition war. Weiterlesen „Da dreht sich was beim BVB“

Blamage reloaded

1. Bundesliga, 34. Spieltag / BVB 0 TSG Hoffenheim 4

Zum Glück ist diese Saison vorbei. Das werden sich heute auch Fans anderer Vereine sagen. Nicht viele haben jedoch Grund, mit so richtig schlechter Laune in die Sommerpause zu gehen – außer bei den Absteigern und beim BVB. Mag sein, dass der sehr schale Beigeschmack abklingen wird, den uns die Schwarz-Gelben gegen Hoffenheim mitgaben. Aber es nervt schon arg, dass man aus dem Mainz-Spiel nichts gelernt hat. Und es ist gerade der Kontrast – das Wissen aus dem Leipzig-Spiel, dass sie es so viel besser können – der nervt.

Es gibt Apologeten, die dieses Saisonende nicht so hoch hängen wollen. Schließlich sei man ja Zweiter, mit Rekordtorzahl, die Saison sei wegen Corona und den fehlenden Zuschauern sowieso etwas Besonderes und auch so lang gewesen. Und es gehe ja nun wirklich um nichts mehr. Gut, man kann die Meinung vertreten, dass es egal ist, ob Hoffenheim oder Wolfsburg direkt die Europa League erreichen. Aber der Anspruch der Schwarz-Gelben muss höher sein – ergebnisorientiert in jedem Spiel, auch und gerade aus einer sportlichen Haltung heraus. Dass es anders geht, hat der FC Union gezeigt: Die spielten auch ohne Fans, haben auch von Hoffenheim einen mitgekriegt, aber heute gegen Düsseldorf noch mal alles gegeben. Weiterlesen „Blamage reloaded“

Mission erfüllt: Dortmund kann Umschwünge

1. Bundesliga, 33. Spieltag / RB Leipzig 0 BVB 2

Als wäre nichts gewesen kommt der BVB nach dem Durchhänger vom Mittwoch zurück und schlägt Leipzig. Zwar reicht es für die Gastgeber dennoch zur Champions League, doch die deutsche Nummer 2 kommt mal wieder aus Dortmund. Ist jetzt alles wieder gut?

Konzentrierter Auftritt im Zentralstadion

Offensichtlich hatten sich ein Großteil der Spieler und der Trainer die Niederlage gegen Mainz zu Herzen genommen – und nicht nur Mats Hummels, der von einer schlaflosen Nacht im Anschluss an die Heimpleite sprach. Mats war unter den Topspielern in Leipzig, in der Entstehung an beiden Treffern beteiligt. Gleiches gilt für Julian Brandt, der schon gegen Mainz neben Hummels zu den besseren Akteuren gezählt hatte.

Vor allen Dingen wirkte es wacher, was die Schwarz-Gelben gegen den „ganz normalen Verein“ so alles anstellten. Bessere, zielstrebigere Pässe ließen den BVB in der ersten Hälfte dominieren, Leipzig wirkte verunsichert. Was daran gelegen haben dürfte, dass die Raumaufteilung der Gastgeber in der Defensive deutlich schlechter war als die der Bayern, an denen sich die Borussen noch die Zähne ausgebissen hatten. Dortmund fand immer wieder Lücken, RB gelang deutlich weniger im Spielaufbau.

Haaland is back

Die Dortmunder Tore folgten schnellen Angriffen. Gut, dass die Schwarz-Gelben ihr Spezialgebiet wieder beherrschen, gut, dass Erling Haaland am Ende der Angriffe wieder genau an den richtigen Punkten stand. In der zweiten Hälfte hatte der BVB deutlich stärkeren Druck von aufrückenden Leipzigern zu überstehen, benötigte dafür erfreulich wenig Glück und am Ende waren die Jungs dann wieder zur Stelle.

Wird jetzt also der Vizemeistertitel gefeiert? Warten wir lieber noch bis nächsten Samstag. Denn obwohl es um nicht mehr viel geht, muss jetzt noch ein Sieg gegen Hoffenheim her. Schon um des Gedenkens an einen früheren 34. Spieltag willen, als die TSG nach Dortmund kam und zuvor deutlich schlechter da stand. Eine Frage der Einstellung…

Die Aufstellung: Bürki – Piszczek, Hummels, Can – Morey (78. Sancho), Witsel, Brandt, Guerreiro (90. Zagadou), Reyna (81. Balerdi) – Hazard (90. Schulz), Haaland. Gelbe Karten: Reyna, Can, Witsel. Tore: Haaland (2)

Was den BVB 2019/20 ärgerlich macht

1. Bundesliga, 32. Spieltag / BVB 0 FSV Mainz 05 2

Es gibt Leute, und wahrscheinlich gar nicht so wenige, die meinen, Borussia Dortmund hätte in der aktuellen Spielzeit mit den zwei FCBs – Bayern wie Barcelona – mithalten müssen. Angesichts der Kräfteverhältnisse wäre das vielleicht beim Erreichen und Halten des absoluten Leistungsmaximums denkbar. Das kann man sich wünschen, aber nicht einfordern.

Mich ärgert deshalb auch nicht, dass die Schwarz-Gelben in dieser Saison Schwächephasen hatten. Mich ärgern leichtfertig weggeworfene Siege und Partien, in denen es offensichtlich auch an der Einstellung mangelte. Gestern sahen wir ein absolutes Paradebeispiel. Eine Mannschaft, die sich auf der erreichten Champions League ausruht gegen eine Mannschaft, die um den Klassenerhalt kämpft.

Mehrmals erwähnte der Sky-Kommentator den Zwischenruf von Mats Hummels, der durch das leere Westfalenstadion hallte. „Unser Pressing ist Alibi“, warf er dem Team sinngemäß vor. Und genauso sah das aus. Nicht nach Arbeitsverweigerung, wie es mancher Populist vielleicht nennen würde. Aber eben so, als ob man die geforderten Aktionen nicht mit hundertprozentiger Entschlossenheit und ebensolchem Einsatz aufs Spielfeld brachte. Das reicht dann auch nicht gegen einen Fünfzehnten, bei dem Plan und Einstellung stimmten.

Es gab kaum zwingende Torchancen des BVB, weil die Ideen gegen eine starke Abwehr fehlten, weil Hakimi oder Sancho ihre Schnelligkeit nicht ausspielten, weil Haaland keine Abschlüsse hatte. Für das Ergebnis sorgten aber auch schlampige (Fehl-)Pässe und individuell schwache Auftritte von Piszczek, Sancho, ja, nehmen wir ruhig Hazard und Haaland dazu, denn die waren kaum sichtbar. Guerreiro und Hakimi waren 2019/20 schon oft wichtig, gestern kam auch von ihnen zu wenig, obwohl Achraf wenigstens die besten Abschlüsse hatte. Eine durchschnittliche Leistung kann man allenfalls Hummels und Bürki attestieren.

Ganz unabhängig von verschenkten Punkten nerven genau solche Auftritte – weil sie am Charakter und an der Harmonie der Mannschaft zweifeln lassen. Es ist einfach unschön, wenn man so den Abstiegskampf beeinflusst. Auch wenn Mainz, Düsseldorf und Bremen sich nach 34 Spieltagen ihre Positionen verdient haben werden. Es bleibt das Gefühl, dass man aus diesem Kader noch mehr herausholen könnte. In der Hinserie war dieses Gefühl deutlicher, aber spätestens das Mainz-Spiel hat es zurückgebracht. Man muss nicht Meister werden, aber es sollte zu schaffen sein, solch blamable Auftritte zu reduzieren. Daran müssen sich Mannschaft und Trainer messen lassen. Lucien Favre hat noch zwei Chancen, seinen Einfluss auf das Team walten zu lassen. Leipzig hinter sich zu lassen wäre jetzt (wie eigentlich immer) sehr wichtig.

Die Mannschaft: Bürki – Piszczek (54. Schmelzer), Hummels, Can – Hakimi, Brandt, Witsel, Guerreiro (82. Schulz) – Sancho (77. Morey), Hazard – Haaland. Gelbe Karten: Piszczek, Hummels, Can, Guerreiro, Hakimi, Witsel.

Eine Hälfte mit Herz

1. Bundesliga, 29. Spieltag / SC Paderborn 1 BVB 6

Einer eher inspirationslosen ersten Halbzeit, die aber laut Lucien Favre immerhin den Gegner müde machte, ließ Borussia Dortmund in Paderborn eine Galavorstellung mit sechs Treffern folgen. Fünf Tage zu spät einerseits – aber trotzdem ein Zeichen gegen die Zweifel.

Wieder ein Spiel der zwei Hälften

Einer der Hauptvorwürfe, den man Lucien Favres Borussia trotz Platz 2 machen könnte, ist der der mangelnden Konstanz über 90 Minuten. Ja, auch ein FC Bayern nimmt sich Auszeiten, aber die sind meistens weniger deutlich erkennbar und weniger gravierend als die der Schwarz-Gelben. Gestern hatte das lustlos wirkende Gekicke der ersten Hälfte gegen den limitierten Tabellenletzten keine negativen Konsequenzen. Und der Mannschaft den Willen absprechen – ein heutzutage schnell gemachter Vorwurf – möchte ich auch gar nicht. Irgendwie schafften es die Gastgeber aber, die Vorwärtsverteidigung des FC Bayern zumindest phasenweise so zu kopieren, dass den Schwarz-Gelben nicht viel mehr einfiel als gegen den Rekordmeister.

Sprung in Halbzeit 2 und nach einer ersten guten Szene der Paderborner schlug der BVB schnell zu. Innerhalb von gut drei Minuten stand es 2:0 durch Hazard und Sancho. Die Gäste hatten das unbedingte Durchspielen zugunsten von längeren Pässen und Läufen aufgegeben. Und vielleicht klappte das tatsächlich deswegen, weil dem SCP zunehmend die Konzentration fehlte, dessen Spieler weniger reaktionsschnell wirkten. Es half den Gastgebern auch nichts, dass Schiedsrichter Siebert Handelfmeter gab, als der Ball Emre Can an den weitgehend angelegten Arm sprang. Ein Witz zumindest im Vergleich mit der Boateng-Szene im Bayern-Spiel. Das Tor durch Ex-Borusse Hünemeier konterte Sancho nur zwei Minuten später. Weiterlesen „Eine Hälfte mit Herz“

Der BVB hat es wieder schwer

1. Bundesliga, 28. Spieltag / BVB 0 Bayern München 1

Wie beflügelt segelte die Borussia scheinbar durch die Rückserie, ließ sich auch von Corona nicht stoppen – bis der FC Bayern kam. Das Topspiel war zum diesmal aber wirklich echten weltweiten Knaller stilisiert worden, konnte die Erwartungen aber eher nicht erfüllen. Danach ist alles wie immer in den letzten Jahren und in Dortmund wird schon wieder die T-Frage diskutiert.

Das Spiel

Die Partie war kein Reinfall, aber einseitiger, als sie manche gesehen haben wollen. Zweifellos war Borussia Dortmund in der ersten Hälfte besser im Spiel als danach. Am besten dann, wenn schnelle Gegenzüge gelangen. Das setzt gegen die Bayern immer Kombinationssicherheit voraus, die in den ersten 45 Minuten ein paar Mal aufblitzte. Doch am Ende standen meist doch noch ein Bayern-Spieler oder eine eigene Fehlentscheidung. Noch schwieriger wurde es, wenn der BVB auf bedächtigen Aufbau setzte: Dann war quasi kein Durchkommen gegen gut nach vorwärts verteidigende Gäste.

Das Tor der Bayern fiel folgerichtig, weil es ihnen immer häufiger gelang, sich durch zu kombinieren. Schon spätestens gegen Ende von Halbzeit 1 war nicht zu übersehen, dass der FCB insgesamt spielerisch besser aufgestellt ist. Das sollte sich in der Folge noch verdeutlichen. Die Hereinnahme von Can und Sancho nach der Pause verpuffte wirkungslos. Bei Schwarz-Gelb nahm die Zahl der Ballverluste und Fehlpässe weiter zu und erst spät im Spiel gelangen noch mal Torannäherungen, bei denen aber Manuel Neuer zur Stelle war. Das einzige Aber gegen den verdienten Bayern-Sieg: Der BVB hätte nach dem ausgefahrenen Ellbogen von Jerome Boateng Elfmeter kriegen müssen – den gab es trotz VAR allerdings nicht.

Die Wirkung

Es war schon von Anfang an komisch, unter der Woche um halb sieben gegen Bayern zu spielen. Dazu natürlich noch die Geisterkulisse und schon kann man das Ergebnis im Anschluss ganz nüchtern (abgesehen vom geringen Pegel) in all seiner Bitterkeit betrachten: Auch 2020 wird es für den BVB zu keinem Titel reichen, es wird nicht mal mehr ein spannendes Rennen geben. Wäre es nicht der Rekordmeister, wäre die Hoffnung größer – aber sieben Punkte auf den FCB in sechs Spielen aufholen? Und damit ist – auch wenn man das anders sehen darf – die Luft doch schon wieder ziemlich raus aus diesem seltsamen Saisonfinale.

Die Trainerdiskussion

Ja, diese Diskussion ist wieder da. Nach nur einer Niederlage schwelte sie wieder in den Medien, auch den sozialen, auch unter Fans. Man kann das kritisch sehen. Verständnis kann man dafür dann haben, wenn man sich an die teils schwachen Auftritte im letzten Jahr erinnert. Dass auch BVB-intern diskutiert wird, soll aus ein paar kryptischen Worten von Lucien Favre nach dem Spiel bei Sky hervorgehen („ich werde darüber sprechen in ein paar Wochen“). Dass Lucien Favre schon mal missverstanden werden kann, wenn er nach einer Niederlage Deutsch spricht, weiß aber eigentlich jeder Dortmund-Kenner und Journalist.

Heute kam dann gleich die deutliche Klarstellung von Favre. „An Aufgeben denke ich überhaupt nicht“, sagte er in einer Vereinsmitteilung. Und wieder zu Sky:

Ich werde weitermachen. Ich habe einen Vertrag. Ich werde diesen Vertrag erfüllen. Es gefällt mir hier.

Meine Prognose: Favre bleibt, wenn die Borussia halbwegs überzeugend die Champions League-Plätze schafft. Er hat noch Vertrag bis 2021, also nicht bis in alle Ewigkeit. Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc werden in unsicheren Zeiten nicht noch ein unnötiges Fass aufmachen. Schwierig wird es für Lucien Favre nur, wenn die Schwarz-Gelben es nun noch mal schleifen lassen.

Die Mannschaft: Bürki – Piszczek (80. Götze), Hummels, Akanji – Hakimi, Delaney (46. Can), Dahoud (85. Witsel), Guerreiro – Hazard, Brandt (46. Sancho) – Haaland (72. Reyna). Gelbe Karten: Hummels, Dahoud