Christoph Daum hat in dieser Woche in deutschen Medien viel Spott für seine Entscheidung einstecken müssen, beim FC Brügge anzuheuern. Stellvertretend seien hier Kommentare aus zwei Berliner Zeitungen zitiert. Dominik Bardow vom „Tagesspiegel“ schreckt zwar davor zurück, in der Überschrift den vollständigen Titel des sehr guten Spielfilms „Brügge sehen und sterben“ zu verwenden. In der Folge referiert er jedoch schön zusammengefasst die Handlung – Colin Farrell spielt einen Auftragsmörder, für den die belgische Stadt zur Endstation seiner Karriere (und seines Lebens) wird. Die Pointe am Ende des Textes ist, dass das natürlich überhaupt nichts mit Daum zu tun habe. Soll witzig sein, aber vielleicht sollte der Autor lieber für die Filmseite schreiben.
Markus Lotter schließt am Donnerstag in der „Berliner Zeitung“ mit großem Gedöns, dass man in diesem Fall zwischen subjektiver und objektiver Realität unterscheiden müsse. Auch er bemüht einen großen Film, Akira Kurosawas „Rashomon“. Nur um sich dann ganz schnöde auf die Seite der Daum-Basher zu schlagen:
Dieser Trainertransfer gibt einerseits einen eindeutigen Hinweis darauf, wie verzweifelt Christoph Daum mittlerweile sein muss. Andererseits zeigt er, wie klein sich der belgische Fußball mittlerweile denkt. (BLZ 10.11.2011, S. 14)
Der Kommentar redet also sowohl Daum als auch den belgischen Fußball klein und beinhaltet kurz vor Schluss noch dies: „Verbrannt und verpönt ist er in seiner Heimat, in der man ihn vor elf Jahren noch um ein Haar zum Bundestrainer gemacht hätte.“
Ist der Spott berechtigt? Ich halte das, wie man sich schon denken kann, für eine rhetorische Frage. Was der Autor der „Berliner Zeitung“ völlig ausblendet: Die belgische Nationalmannschaft hat sich in der EM-Qualifikation über weite Strecken nicht schlecht präsentiert und Platz 2 um zwei Punkte verpasst. Zwischendurch war schon die Rede von einer Renaissance der belgischen Auswahl. Wie sich das nach der verpassten Quali in den kommenden Jahren fortsetzt, ist zwar ungewiss, es gab jedoch positive Anzeichen.
Noch weniger ist zu verstehen, warum der FC Brügge so schlecht wegkommt. Ok, der Club hat es vor sechs Jahren zum letzten Mal in die Champions League geschafft. Aber wie viele deutsche Traditionsvereine wären stolz darauf, wenn sie das von sich behaupten könnten? In der Liga war Brügge nur einmal in den letzten zehn Jahren nicht unter den ersten fünf platziert. Und in der Europa League und ihrem Vorgängerwettbewerb haben sie es in diesem Zeitraum bis auf einmal immer mindestens in die Gruppenphase geschafft. Nicht nur als Borussia Dortmund-Fan sage ich: es gibt keinen Grund, den FC Brügge zu unterschätzen.
Die oben zitierten und andere negative Kommentare zu Daums Ernennung in Brügge beziehen sich wohl eher auf die Person Daum als auf seinen neuen Verein. Nur ersteren kennen die beiden Autoren wirklich und sie haben insofern recht, als dass er in Deutschland auf höchstem Niveau zurzeit nicht mehr vermittelbar ist. Aber was gibt es dann an der Entscheidung zu kritisieren, bei einem ambitionierten Verein, der im letzten Jahrzehnt im europäischen Fußball einen ordentlichen Namen hatte und noch dazu in der Nähe der Heimat liegt, einen neuen Anlauf zu nehmen? Der Name Daum ist nur in Deutschland verbrannt – international geht man vorurteilsloser mit der Person um und würdigt seine Leistungen im Ausland, in der Türkei.
Es kann schiefgehen. Es gibt jedoch keinen rationalen Grund, warum der FC Brügge für Christoph Daum eine Endstation und der finale Karriereknick sein muss. Einige belgische Zeitungen haben ihn so ähnlich empfangen wie ihn die deutschen Medien verabschiedet haben. Trotzdem dürfte man unvoreingenommener mit ihm umgehen und der Druck wird etwas geringer sein. Viel mehr als die Kritik an Daum finde ich jedoch die undifferenziert herablassende Haltung gegenüber dem belgischen Fußball insgesamt fehl am Platze.
(Quelle: Transfermarkt.de)