BVB-Traum zerplatzt wie eine Seifenblase

1.Bundesliga, 34. Spieltag / BVB 2 FSV Mainz 05 2

Kurz schwebte die Meisterschale vor uns und leuchtete in den schillerndsten Farben, doch am letzten Spieltag zerplatzte der Traum hunderttausender Schwarz-Gelber jäh. Seifenblase statt historischer Dortmunder Stahl: Mit der Stabilität hatte die Borussia zum entscheidenden letzten Mal in dieser Saison ihre Probleme. Und leider helfen alle Metaphern nicht bei der Verarbeitung der nackten Realität: Borussia Dortmund hat die größte Chance auf die Meisterschaft seit über einem Jahrzehnt verspielt.

Ich selber war am Samstag unterwegs und versuchte kurz nach Spielbeginn, per semi-stabilem W-LAN und Sky Go den Livestream auf meinen Laptop zu bekommen. Nach einer halben Stunde waren mein Helfer und ich endlich erfolgreich – im Gegensatz zu den schwarz-gelben Jungs. Ich erzähle das so detailliert, um meine Sichtweise auf dieses Spiel verständlich zu machen. Ich war nicht von Beginn an dabei und voll involviert wie die rund 81.000 im Stadion. Mein Blick mag deshalb etwas distanzierter rüberkommen. Im Anschluss und in den Tagen seither habe ich mich bezogen auf den Fußball jedoch genauso leer gefühlt wie die meisten.

Entscheidende Schwächen im BVB-Spiel

Ohne nochmal voll ins Spiel einsteigen zu wollen – der BVB machte es den Mainzern zu leicht. Erst eine schlecht verteidigte Ecke, ein Rückfall in dunkle Zeiten: Hanche-Olsen kann ungestört mehrere Meter zum Ball laufen, Emre Can gibt sich mit der Zuschauerrolle zufrieden, Haller kommt zu spät: 0:1. Beim zweiten Gegentreffer werden die Schwarz-Gelben von einem schnellen Gegenangriff überrumpelt, Wolf verteidigt die Außenbahn mangelhaft und nach der Flanke ist zentral niemand zur Stelle, um Onisiwo zu stören. Die Dortmunder waren zu weit weg von ihren Gegenspielern – eine Abwehrschwäche, die man sich im entscheidenden Saisonspiel schlicht nicht erlauben darf.

Sebastien Haller ist der Spieler der Saison, das stand bereits vor dem letzten Spieltag fest. Aber das letzte Drama im Westfalenstadion sah für ihn die Rolle des tragischen Helden vor. Bei einem Gegentor nicht gut ausgesehen, einen Elfmeter nicht verwandelt, eine riesige weitere Chance nicht genutzt – es kam vieles zusammen für unsere Nummer 9. Im Nachhinein lässt sich klar sagen, dass Emre Can den Elfer hätte schießen müssen – ein möglicher Ausgleichstreffer zu jenem Zeitpunkt und es wäre mutmaßlich eine ganz andere Partie geworden. Hallers Samstag steht symptomatisch für die letzten Monate der ganzen Mannschaft: Sportlich haben die Schwarz-Gelben vieles richtig gemacht – sie waren aber in zu vielen entscheidenden Momenten nicht da.

Die Borussia kam zu einigen guten Chancen, die nicht genutzt wurden. Vieles wirkte überhastet: Flanken aus dem Halbfeld, Abschlüsse aus der Distanz (Brandt), bei denen andere Optionen nicht beachtet wurden. Der deutliche Rückstand war nicht hilfreich dabei, eine spielerische Linie zu finden. Die Einwechslungen in der zweiten Halbzeit, insbesondere von Reyna und Duranville, brachten noch einmal Schwung – vielleicht erfolgten sie aber schon zu spät. Außerdem ist es in dieser Rückserie immer zu hinterfragen, wenn Donyell Malen vorzeitig vom Platz muss. Es reichte noch zum Anschlusstreffer, gar zum ganz späten Ausgleich. Doch der Fußballgott schien die vorherige Schlafmützigkeit der Dortmunder nicht vergessen zu haben und gestattete ihnen keines jener Last-Minute-Wunder, die er derzeit so freigiebig verteilt (VfL Osnabrück! 1. FC Heidenheim! Sheffield Wednesday!).

Das Nachspiel

Abpfiff. Riesige, geballte Enttäuschung bei unglaublich vielen Menschen. Auf dem Rasen, auf den Rängen, vor den Bildschirmen. Nur noch Leere, verstärkt durch das Wissen, wie rar eine solche Chance in der jüngeren Vergangenheit war. Die Fans im Stadion, allen voran die Südtribüne, finden einen Weg, mit der geteilten Trauer konstruktiv umzugehen: Sie spenden der Mannschaft und dem Trainer Trost. Die haben das verdient, menschlich noch mehr als sportlich.

Man hätte den Erfolg so vielen aus diesem Verein so sehr gegönnt: Edin Terzic. Sebastien Haller. Mats Hummels. Gregor Kobel. Niklas Süle. Marco Reus. Und auch vielen anderen, aber bei den Genannten kann man besonders gut sportliche und persönliche Gründe anführen. Ich möchte noch Emre Can herausstellen: Allein für sein souveränes Lachen und Weggehen nach der Provokation eines Augsburgers im vorherigen Spiel hätte ich ihm die Meisterschaft gegönnt. Sportlich war er in den letzten Wochen über jeden Zweifel erhaben – bis Samstag, als er bei beiden Gegentoren nicht gut aussah.

Die Suche nach den Gründen

In meinem Vorbericht kam es schon zum Ausdruck: Ich konnte die grenzenlose Euphorie der letzten Woche nicht ganz nachvollziehen. Die Hoffnung schon, aber nicht den Glauben, dass nichts mehr schiefgehen könne. Nicht nur jüngere Fans, sondern auch gestandene Journalisten schienen davon befallen. Ich hoffte und hielt es für wahrscheinlich, dass es der BVB schafft. An einen Kölner Punktgewinn glaubte ich nicht, auch nicht am Samstag nach dem 1:1. Die Vorwarnzeichen waren für mich wie gesagt die Partien gegen Bremen (2:3) und in Stuttgart (3:3). Hält eine Mannschaft, die solche Spiele noch herschenkt, dem Druck einer Entscheidung am letzten Spieltag stand?

Es wird immer wieder auf die tolle, erfolgreiche Rückrunde verwiesen. Aber auch in der hatte der BVB eben den einen unglaublichen und zwei weitere schwer erklärbare Aussetzer (Schalke, Bochum). Gegen die beiden anderen Großen sah die Borussia in beiden Halbserien nicht gut aus, holte in der Liga vier von möglichen zwölf Punkten und scheiterte im Pokal sang- und klanglos an Leipzig. Am Ende zählt, was in der Tabelle steht. Hätten die Schwarz-Gelben gegen Mainz gewonnen, wären sie verdient Meister geworden. So sind sie verdient Vize-Meister.

Scheitern als Chance?

Wenn wir schon einmal bei harten Fakten sind: Bittere Niederlagen, die einen stärker machen; die gemeinsame Trauer und der Zusammenhalt von Fans und Mannschaft als Katalysator für etwas Neues, Großes – diese Vorstellungen schwanken zwischen Folklore und beneidenswertem Zweckoptimismus. Dass eine so große Chance auf die Meisterschaft bald wiederkommt, ist zu bezweifeln. Bayern Münchens neue Führung, wie auch immer sie am Ende aussieht, wird trotz des Titels gezwungen sein, für Verstärkung zu sorgen. RB Leipzig ist derzeit mindestens auf Augenhöhe mit dem BVB, so ungern man diese Realität auch anerkennt. Für das Projekt wird es wie für den BVB darauf ankommen, wahrscheinliche Abgänge adäquat zu ersetzen.

Im BVB-Podcast der Ruhr Nachrichten war zu hören, ein Abgang von Bellingham sei verkraftbar, schließlich spreche auch niemand mehr von Erling Haaland. So äußerte sich sinngemäß ein Fragesteller aus der Hörerschaft. Ja, die Borussia hatte am Ende drei Torschützen mit je neun Treffern in der Liga: Julian Brandt, Sebastien Haller und Donyell Malen. Alle standen gegen Mainz auf dem Platz, keiner von ihnen traf. Wie groß wäre die Chance gewesen, dass Haaland in diesem Spiel kein Tor schießt oder zumindest entscheidend vorbereitet?

Jude Bellingham saß am Samstag auf der Bank und soll laut dem RN-BVB-Podcast signalisiert haben, er fühle sich nicht gut genug für eine Einwechslung. Auch er hat in dieser Begegnung gefehlt und wird auch in Zukunft nach einem sehr wahrscheinlichen Wechsel fehlen. Sebastian Kehl wird im Einklang mit Edin Terzic Ersatz finden. Ob er gleichwertig sein wird, ist eine ganz andere Frage. Mehr über die Kaderbaustellen der Borussia in der nächsten Zeit – vorhanden sind sie auf alle Fälle.

Die Rolle von Edin Terzic

Welche Rolle bei dieser spannenden, manchmal verrückten, aber am Ende enttäuschenden Saison spielte Edin Terzic? Er ist der Mann. der den BVB lebt und zu ihm passt wie kein Zweiter. Das ist jedoch ’nur‘ die Gefühlsebene. Im Zweifelsfall sind für ein schlechtes Spiel zuvorderst die Spieler verantwortlich, doch über die Saison hinweg spielt der Mann an der Seitenlinie eine ebenso große Rolle. Im Kontext der 90+ Minuten auf dem Platz ist diese jedoch oft schwer zu definieren. Hätten Terzic und sein Team beispielsweise die Sinne der Spieler vor der Partie gegen Mainz noch mehr schärfen können? Es ist nicht einzuschätzen, aber betrachtet man die ganze Saison, sitzen alle Beteiligten in einem Boot.

Man könnte also zur Ansicht gelangen, dass auch Edin Terzic noch das gewisse Etwas zur Meisterschaft fehlt. Vielleicht kann man aus Niederlagen am Ende doch lernen und der Trainer steigert sich nochmal entscheidend. Wenn wir aber alle zum Titel nötigen Mosaiksteine betrachten, wird da in den nächsten Jahren der Konjunktiv vorherrschen und der Weg steiniger sein als 2022/23.

Die Aufstellung: Kobel – Wolf (46. Moukoko), Süle, Hummels, Ryerson (79. Modeste) – Can – Guerreiro, Brandt (62. Duranville) – Malen (63. Reyna), Haller, Adeyemi (40. Reus). Gelbe Karte: Guerreiro. Tore: Guerreiro, Süle

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