Menschen, Tore, Sensationen

1. Bundesliga, 3. Spieltag / BVB 6 SV Darmstadt 98 0 und
Champions League, 1. Spieltag / Legia Warschau 0 BVB 6

War das eine goldene Woche? 12:0 Tore in Champions League und Liga. Während noch am Sonntag von der Geduld die Rede war, die mit dem neuen BVB nötig sei, gehen jetzt die Superlative aus. Was ist passiert?

Am Mittwoch trafen die Schwarz-Gelben auf einen Gegner, der nach längerer Zeit die Rückkehr auf die höchste europäische Ebene feierte. Doch schöne Choreografien nützten Legia nichts und gewalttätige Fans schon gleich gar nicht. Der polnische Hauptstadtklub – ohnehin schwach in die Saison gestartet – war überfordert. Anfällig bei flottem Flügelspiel, bei Standards und ganz allgemein im Stellungsspiel.

Thomas Tuchel hatte gleich mehrere Impulse nach dem enttäuschenden Auswärtsspiel in Leipzig gesetzt. Guerreiro spielte von Beginn an – und das zentral. Dembélé kam zurück ins Team und der zu Saisonbeginn leicht unzufriedene Pulisic bekam ebenfalls seine Chance. Was soll man sagen? Was für Volltreffer vom Trainer. Tuchel hatte seine Jungs richtig eingeschätzt, vom Leistungsvermögen und von der Galligkeit her. Mario Götze ließ seine Kritiker verstummen und schon am Mittwochabend hatte sich die Stimmung um die Borussia wieder gedreht.

Gestern zeigte Tuchel erneut, wie gut er mit dem Kader umgehen kann. Wenn Rotation so gut funktioniert, dann macht sie allen Sinn. Der Trainer gab Spielern, die bisher wenig Einsatzzeit hatten, ihre Chance. Olympionik Matthias Ginter durfte von Beginn an im Abwehrzentrum ran, Adrian Ramos ersetzte Aubameyang. Christian Pulisic wurde für seinen starken Auftritt in Polen belohnt. Gonzalo Castro war in Warschau nur eingewechselt worden und zeigte gegen Darmstadt sensationell, wieso er verdient wieder in der Startelf stand.

Ich konnte die gestrige Partie nur in der Zusammenfassung sehen. Doch manchmal, nur manchmal, sprechen Statistiken für sich. Neben den sechs Toren hatte der BVB 79 Prozent Ballbesitz zu verbuchen. Daneben 22 Torschüsse und eine Passquote von 92 Prozent. Noch in der Halbzeit sah es so aus, als ob sich die Gastgeber trotz drückender Überlegenheit nicht richtig belohnen würden. Doch jene Spieler, die von Tuchels Rotation profitierten, bedankten sich mit Toren: Castro, Ramos und Pulisic besorgten die beruhigende 3:0-Führung.

Dann kam die Kür, und was für eine. Gonzalo Castro, von dem ich schon letzte Saison überzeugt war, traf mit der Alessandro Del Piero-Gedächtnishacke zum 4:0. Sechs Minuten später machte es ihm Mittelfeldkollege Sebastian Rode nach – vielleicht einen Tick weniger elegant. Das 6:o durch den wie Rode eingewechselten Emre Mor zeichnete vor allem die Ballannahme des 19-Jährigen zuvor aus.

Erkenntnisse: Es geht ohne Götze und Schürrle – auch die müssen sich strecken und beweisen. Es gibt auch in der Viererkette Alternativen. Und Thomas Tuchel scheint nicht nur seinem Ruf als Matchplaner wieder gerecht zu werden, sondern auch schlauer Rotationskünstler zu sein.

Bei aller Freude über diese sensationelle Woche: Für mich bleibt ein kleines Haar in der Leibspeise. Ich möchte nicht jedes Jahr 6:0 gegen Darmstadt gewinnen. Gegen das Überraschungsteam der letzten Saison, das einen extremen Neuaufbau starten musste, weil sie eben doch nur die Kleinen sind. Dagegen bist du als Vereinsverantwortlicher machtlos. Die Bundesliga droht zur Drei- oder Vier-Klassen-Gesellschaft zu werden; Ergebnisse wie in der Frauen-Bundesliga vor ein paar Jahren könnten sich häufen.

Die Aufstellung (gegen D98): Bürki – Passlack, Sokratis, Ginter, Schmelzer (70. Rode) – Weigl – Castro, Guerreiro (63. Kagawa) – Pulisic, Dembélé (64. Mor) – Ramos. Tore: Castro (2), Ramos, Pulisic, Rode, Mor

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