Ohne Stark wär hier gar nichts los

1. Bundesliga, 4. Spieltag / Bayer Leverkusen 0 BVB 0

Man muss einfach mal „Danke“ sagen. Zum bayerischen(!) FIFA(!!)-Schiedsrichter Wolfgang Stark, der ein vorhersehbares, taktisch geprägtes 0:0 in ein farbenfrohes, emotionales 0:0-Spektakel verwandelte. Die Redaktion des ZDF-Sportstudios täte gut daran, ihre Schiedsrichter-Rubrik in „Stark des Tages“ umzubenennen, denn wer liefert sonst so viel Material wie der berühmteste Ergoldinger aller Zeiten (und bei dieser Einschätzung vergesse ich nicht den aktuellen Trainer des 1.FC Saarbrücken)?

Die erste Halbzeit war in Wirklichkeit nicht so berauschend, wie das ganze Spiel nach 90 Minuten dargestellt wurde.  Leverkusen-Fans werden möglicherweise anderer Meinung sein und in der Tat waren die Gastgeber in den ersten 45 Minuten die bessere Mannschaft. Es gab jedoch weder einen dauerhaften Sturmlauf auf das BVB-Tor noch weitere wirklich hochkarätige Chancen außer den beiden, die Roman Weidenfeller reaktionsschnell parierte. Die von taktischer Disziplin geprägte Partie spielte sich weitgehend im Mittelfeld ab und die weiteren Torschüsse, die Leverkusen natürlich hatte, waren vergleichsweise harmlos.

Der BVB tat sich in der ersten Hälfte angesichts der gut stehenden Gastgeber sehr schwer und machte sich das Leben selbst nicht leichter. Die Fehlpassquote war phasenweise deutlich zu hoch. Daran waren erneut die Innenverteidiger maßgeblich beteiligt. Aber auch für das komplette offensive Mittelfeld gab es mit Pässen kein Durchkommen durch die Reihen der Leverkusener. Normalerweise müsste man dann auf die Flügel ausweichen, aber von Piszczek kam nach seinem frühen Flanken-Torschuss wenig und Marcel Schmelzer hat offensiv ohnehin nicht die Durchsetzungsfähigkeit, um sich gegen eine absolute Spitzenmannschaft zu behaupten. Und das ist Leverkusen nach wie vor. Nach dem ersten Spieltag war der BVB in der medialen Wahrnehmung schon beinahe Meister, jetzt sind die Bayern kaum noch zu stoppen, aber am Ende könnte (!!!) die Werkself der lachende Dritte sein.

Die Gastgeber hätten mehr aus der ersten Hälfte machen können, aber letztendlich waren sie im Abschluss zu harmlos und die Dortmunder Viererkette trotz Fehlern im Aufbauspiel doch präsent genug, um die meisten gefährlichen Situationen (noch) rechtzeitig zu klären. Eine Gefahr für jeden Gegner stellt Andre Schürrle dar, der Mario Götze in den nächsten Wochen den Rang als Medien-Liebling Nr. 1 ablaufen könnte.

Die zweiten 45 Minuten begannen offener. Leverkusen hatte zwar die ersten guten Szenen, aber es war nicht so, dass der BVB erst durch den Platzverweis von Michal Kadlec ins Spiel kam. Spätestens mit Kagawas Schuss über das Tor in der 52. Minute waren die Schwarz-Gelben in der Partie und es war fortan keine Leverkusener Dominanz mehr zu spüren. Nicht zu vergessen: die geniale Hackenvorlage von Lewandowski auf Kagawa (in deren Anschluss Leno zur Stelle war) ereignete sich vor der Roten Karte. Trotzdem blieb es Maestro Stark vorbehalten, die Stimmung richtig zum Kochen zu bringen – auf dem Feld und unter den Fans. Es macht Sinn, die wichtigen Entscheidungen gebündelt abzuhandeln:

Die erste Gelbe Karte gegen Kadlec wegen eines schnellen Griffs an Götzes Arm war nicht absolut zwingend. Da der Linksverteidiger für sein späteres Einsteigen von hinten aber zurecht glatt Rot sah, spielt die erste Karte eine untergeordnete Rolle. Einige Kommentatoren wollen das Hummels-‚Foul‘ an Renato Augusto als den Auslöser der Hektik ausgemacht haben. Richtig, wenn es ein Foul gewesen wäre, hätte es Gelb-Rot geben müssen. Wenn der Abwehrspieler aber die Beine noch einzieht und der Angreifer trotzdem dankbar darüber stolpert, ist das für mich kein Foul. Rudi Völler sagte bei Sport 1, dass man das als Stürmer eben so mache – ich empfinde das nicht als wünschenswerten Bestandteil des Fußballs und würde mir wünschen, dass die Schiedsrichter in solchen Situationen den Mut haben, weiterspielen zu lassen. Immerhin ging der folgende Freistoß harmlos in die Mauer.

Die Rote Karte gegen Mario Götze roch sehr nach Konzessionsentscheidung. Es war ein angedeuteter Tritt zu sehen, der jedoch Balitsch gar nicht treffen konnte. Mario hat auch (aus)gespuckt. Da war Balitsch allerdings schon meterweit entfernt. Das Problem bei Stark ist, dass ihm einfach das Fingerspitzengefühl fehlt. Von manchem Regel-Positivisten wird dieser Begriff kritisiert, aber muss man die Bewegung von Götze wirklich als versuchte Tätlichkeit werten? Andererseits (und das wurde komischerweise kaum erwähnt): Eine Gelbe Karte war die Aktion schon wert und dann wäre Mario eben mit Gelb-Rot runtergeflogen. Seine erste Gelbe Karte wegen eines harten Einsteigens gegen Torwart Leno sah der Jungstar zurecht. Der (mögliche) Unterschied zur von Stark getroffenen Entscheidung betrifft also nur die Länge der Strafe. Über das nicht gegebene Freistoßtor braucht man hingegen nicht zu reden. In der Szene hatte der Schiedsrichter das Spiel eindeutig noch nicht freigegeben.

In der Phase, in der die Schwarz-Gelben in Überzahl agierten, hätten sie das Spiel gewinnen können. Plötzlich waren die Spielzüge flüssig und die sich ergebenden Chancen insgesamt zwingender als das, was Leverkusen zustande gebracht hatte. Leno rettete den Gastgebern bei Perisics Schuss mit einer tollen Reaktion das Unentschieden und ihm ist es auch zu verdanken, dass Kagawas Schuss in der 76. Minute nicht im Tor landete, obwohl schließlich Castro den Ball noch von der Linie schlagen musste. Die letzte Viertelstunde Zehn gegen Zehn verlief emotional in aufgeheizter Stimmung, mit weiteren Chancen auf beiden Seiten, aber gegen Ende hatte man das Gefühl, dass sich beide Mannschaften mit dem 0:0 zufriedengaben.

Es war ohne Zweifel ein gerechtes Ergebnis in einem Spiel, nach dem ohne Wolfgang Stark und die ‚Rotsünder‘ vor allem über taktisch gut organisierte Leverkusener gesprochen worden wäre und über einen BVB, der in dieser Saison noch viel häufiger nicht glänzen, sondern sich Punkte erarbeiten wird. Mit einem Punkt in Leverkusen kann man absolut zufrieden sein – traurig ist nur, dass Mario Götze womöglich für mehr als ein Spiel gesperrt wird. In diesem Sinne: Danke für die Show, Herr Stark, aber bitte keine Fortsetzung!

Die Aufstellung: Weidenfeller – Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer – Bender, Gündogan – Götze, Kagawa (81. Kuba), Großkreutz (63. Perisic) – Lewandowski. Gelbe Karten: Hummels, Götze. Rote Karte: Götze.

9 Kommentare zu „Ohne Stark wär hier gar nichts los

  1. Auch wenn ich das Unentschieden durchaus gerecht finde, bleibt bei mir ein fader Beigeschmack haften, da doch deutlich mehr möglich gewesen wäre wenn man einfach mal aus wenigen Chancen ein Tor macht. Ich denke da in erster Linie an Shinji, der zweimal aus aussichtsreicher Position hätte vollenden können.
    Es ist teilweise etwas merkwürdig das das Spiel in die Spitze momentan nicht so funktioniert. Es gibt zwar immer mal einige gute Ballpassagen aber insgesamt zu viele Abspielfehler.

    Zu den Karten bzw. Fouls kann ich nur sagen :

    -Hummels an Augusto- viel zu offensichtlich für mich das Augusto den Elfmeter haben wollte, hebt da eindeutig ab und versucht einzufädeln. hätte ich überhaupt nicht gepfiffen.

    -Balitsch an Götze- hätte ich einfach weiterspielen lassen..
    sind wir mal ehrlich, wenn wir bei jedem Gerangel im Elfer z.b. bei Eckbällen jedesmal rot oder eine gelbe Karte vergeben, würden wir nach 90 minuten 5 gegen 5 spielen.
    Es gibt bei Standards immer mal Szenen bei denen einer einfädelt oder den Mitspieler schubst.. selbst Balitsch wußte gar nicht was los ist und wunderte sich..

    Wenn jetzt auch noch versucht wird Mario eine Spuckattacke anzuhängen dann reichts ja wohl. Alles andere als ein Spiel Sperre wäre mehr als lächerlich..

    Stark fehlt wie so ziemlich jedem Schiri das berühmte Fingerspitzengefühl und er handelt einfach immer nur nach dem Regelwerk.

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  2. Merkwürdige Betrachtungsweise… Nachtreten ist rot. Damit ist die Rote Karte schon gerechtfertigt, ob er nun richtig trifft oder nicht.

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  3. @Andy: Unsere Gegner haben sich leider inzwischen auf unser Offensivspiel eingestellt. Shinji und Mario werden eng gedeckt, oft auch doppelt, und starke, taktisch disziplinierte Abwehrreihen wie die der Leverkusener oder Hoffenheimer kriegen das auch annähernd über 90 Minuten hin. Der Unterschied zu den anderen Mannschaften wird in dieser Saison geringer sein, wir werden seltener glänzen und müssen die Chancen, die sich zwischendurch doch mal anbieten, nutzen. Aber das war so zu erwarten und ich kann mich damit gut abfinden.

    @Zechbauer: Wenn es eine versuchte Tätlichkeit war, musste es Rot geben, ja. Aber man muss von einem Schiedsrichter schon erwarten können, dass er jede Situation gesondert betrachtet. Zu einer versuchten Tätlichkeit gehört schon dazu, dass man den Gegenspieler zumindest treffen könnte. Ich gebe dir insofern recht, dass die Bewegung von Götze wie ein angedeuteter Tritt aussah und dass Gelb, also Gelb-Rot, angemessen gewesen wäre. Aber eine Tätlichkeit? Es gibt ja zum Glück auch nicht bei jedem Schubser gleich Rot.

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  4. @Nick:

    Man kann dafür keine gelbe Karte geben, weil das Regelwerk dieses nicht vorsieht.
    Rote Karte war die einzige Option.

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  5. Starks Entscheidung war, egal wie man sie interpretiert, m.A. nach ein Irrläufer, irgendwo zwischen nicht richtig hingeschaut, überreagiert und Konzessionsentscheidung. Kann man so machen, muss man aber nicht, besonders, wenn man ein Spiel „leiten“ will.

    Anyway: So etwas gleicht sich im Laufe einer Saison unter dem Strich aus. Irgendwann trifft es jede Mannschaft. Gut: Götze hat jetzt 3 Wochen Ruhe vor dem Boulevard und kann in Ruhe trainieren. Nich gut: Er fehlt in dem wichtigen Auswärtsspiel gegen Hannover.

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  6. @Peter Fontane: Wenn man es als versuchte Tätlichkeit wertet. Muss man aber m.E. nicht und dann kann man sagen „unsportliches Verhalten“, Gelb. So wie bei einem harmlosen Schubser.

    @Le Karl: Genau. Man sollte auch mal die guten Seiten sehen. 🙂

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  7. Das versuchte Nachtreten von Götze kann keine gelbe Karte sein, sondern muss glatt Rot geben. Wenn es denn eines gewesen wäre. Wie Kloppo sehr richtig bemerkt, verhaken sich die beiden und Balitsch zieht mit seinem Fuß das Bein von Götze mit hoch. Es war also kein absichtlicher Tritt des Dortmunders und somit kein Platzverweis, weder mit noch ohne Gelb vorm Rot. Das kann man in den Zeitlupen auch sehr gut beobachten. Insofern kann man den Trainer der Dortmunder gut verstehen, wenn er in der Situation angefressen ist. Mit seiner Forderung, man solle die Persönlichkeit der Spieler mit einbeziehen, widerspricht er allerdings erstens dem Grundsatz der Gleichbehandlung und zweitens sich selbst, denn er hat bereits vor ein paar Jahren bei der Bewertung solcher Situationen mehr Objektivität gefordert. Ja was denn nun?

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  8. Den Buchstaben des Gesetzes nach kann es für eine versuchte Tätlichkeit nur Rot geben, richtig. Wenn ich mir die Zeitlupen anschaue, sehe ich, dass Götzes Bein zwar von Balitsch angehoben wird, er aber auch eine aktive Bewegung macht. Deshalb fände ich es wünschenswert, wenn der Schiedsrichter eine solche Szene eben nicht als versuchte Tätlichkeit, sondern etwas weniger schlimm werten würde und Gelb-Rot gegeben hätte. Analog zu der Bewertung von Schubsern, die manchmal mit Freistoß, manchmal mit Gelb und manchmal mit Rot geahndet werden. Es gibt mMn nach Spielsituationen, die eben nicht eindeutig sind und in denen der Schiri einen gewissen Ermessensspielraum haben (und nutzen) sollte.

    Klopp mag das nach dem Spiel so geäußert haben, aber ich denke nicht, dass er die Forderung nach einer Einbeziehung des Charakters heute noch aufrechterhalten würde.

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